Interview mit Que Du Luu
Autorin: Maike Siu-Wan Storf
Stellungnahme
Que Du Luu hat mich während unseres Austausches gebeten, ihre Aussagen nicht zu gendern. Gleichzeitig hat sie explizit darauf hingewiesen, dass sie feministische Werte vertritt. Die Umsetzung dieser Werte ist aus ihrer Sicht nicht abhängig vom Gendern.
Innerhalb des Teams von ZhongDe haben wir entschieden, dass wir ihren Wunsch als Künstlerin und Autorin respektieren. Wir verstehen ihren Wunsch nicht zu gendern, als ihr persönliches Plädoyer für ihre Sprache und als Meinungsverschiedenheit im Lösungsansatz. Nicht als Grundsatzfrage.
Uns als Magazin geht es, was das Thema des Gendern betrifft, vor allem darum, alle Personen der Community mit einzubeziehen und FLINTA* eine Plattform zu bieten, in der sie gesehen und mitgedacht werden. Sprache schafft Realitäten und kann Diskriminierung reproduzieren. Und so plädieren wir im Sinne des von der Autorin Lin Hierse geprägten Begriffes der Poetical Correctness für die utopische Idee der Schönheit einer Sprache, die alle Menschen mit einbezieht und diskriminierungsfrei kommuniziert. Deshalb sprechen wir uns ausdrücklich für das Gendern aus.
Während der Arbeit an der Rezension und dem Interview durfte ich Que Du Luu als sehr offene und interessierte Gesprächspartnerin kennenlernen.
Aus zeitlichen Gründen haben wir kein Gespräch im eigentlichen Sinne geführt, sondern die Fragen und Antworten zwischen uns her gemailt. Dadurch war viel Raum für Gedanken zwischen uns und so habe ich das Interview an wenigen Stellen um ein paar dieser Gedanken ergänzt.
Que Du Luu hat außerdem angeregt, meine Kolleg*innen bei ZhongDe und unsere Leser*innen zu bitten, die Fragen, die nicht spezifisch an Que Du Luu als Autorin gestellt worden sind, auch sich selbst zu stellen und die Antworten an uns weiterzuleiten, so dass ein breiterer Austausch an Erfahrungen und Empfindungen entstehen kann.
Interview
Liebe Que Du Luu, vielen Dank, dass Du meine Interviewanfrage angenommen hast und ich freue mich sehr über unseren Austausch.
Ich bin auf Dein Buch „Im Jahr des Affen“ im Rahmen meiner Suche nach Deutsch-Chinesischen Autor*innen und Themen für ZhongDe gestoßen und habe daher Deine anderen beiden Romane noch nicht gelesen. Bei meiner weiteren Recherche habe ich Buchbesprechungen und Interviews mit Dir gefunden, die - soweit ich überblicken kann - zumeist aus weiß-deutscher Perspektive geführt worden sind. Gab es auch Feedback aus der deutsch-asiatischen Community? Und wenn ja, wie hat sich das formuliert?
Es gab vor allem Rückmeldungen von Menschen mit Migrationshintergrund, die sich sehr mit Mini und ihrer Lebenssituationen identifizieren konnten. Da sind große gemeinsame Schnittmengen.
Wie erlebst Du den Austausch mit Deutsch-Asiat*innen oder anderen BIPoC im Rahmen Deiner schriftstellerischen Tätigkeit aber auch privat?
Ich habe leider nicht viel Austausch mit Deutsch-Asiatinnen. Ich habe eine Kollegin, die im Erwachsenenalter aus China gekommen ist, die ich sehr selten treffe und eine Freundin, die auch erst spät nach Deutschland kam. Da entdecke ich immer wieder Gemeinsamkeiten. Es geht aber weniger darum, gleiche Erfahrungen auszutauschen, sondern manchmal spürt man eine Gemeinsamkeit in der Persönlichkeit. Ich empfinde sie aber chinesischer im Denken, weil sie nicht hier aufgewachsen sind und sich doch wohl eher als Chinesinnen fühlen.
Die Frage für wen wir schreiben, beschäftigt uns auch bei ZhongDe. Für wen schreibst Du und was wünschst Du Dir von Deinen Leser*innen?
Ich schreibe vor allem für mich und außerdem für jeden, der sich auf eine interessante Geschichte einlassen will. Von Lesern wünsche ich mir, dass sie sich nicht zu sehr von einem Namen, Geschlecht oder einem Geburtsort beim Lesen beeinflussen lassen. Ein Werk kann auch immer unabhängig von dem Autor gelesen werden. Bei meinem nächsten Roman werde ich daher unter einem (offenem) Pseudonym schreiben. Ich kann mir auch vorstellen, in Zukunft unter einem ganz geschlossenen Pseudonym zu schreiben, weil die Leser unbefangen die Romane lesen sollen. Es wäre schön, wenn ich als Person anonym bleiben könnte und eine Geschichte sich vorurteilsfrei entfalten dürfte. Schwierig wird es dann nur mit Interviews und Lesungen.
Ich kann total gut verstehen, dass es den Wunsch gibt, dass ein Werk ohne Zusammenhang zur Autor*in und allein für sich sprechend wahrgenommen wird. Auf der anderen Seite kann ich nur beschreiben, wie viel es für mich als Leserin bedeutet, eine Autorin entdeckt zu haben, die wie ich mit asiatischen Wurzeln in Deutschland aufgewachsen ist. Würden wir uns persönlich besser kennenlernen, fänden wir bestimmt genauso viele Gemeinsamkeiten wie auch Unterschiede und trotzdem ist es schön einem Gesicht zu begegnen, dass meinem ein bisschen mehr ähnelt als die Gesichter, die mir sonst auf Klappentexten entgegenblicken. Deine „Sichtbarkeit“ ist ermutigend und trägt meiner Meinung nach dazu bei, dass wir Deutschland als pluralistische Gesellschaft denken müssen. Und gleichzeitig dürfen wir als PoC und Deutsche mit Migrationserfahrung nicht in die Falle tappen, uns und unsere Themen selbst nur in stereotypen Kategorien zu vertreten.
Die Figuren, die ich als Leserin Ihres Buches kennenlernen durfte, sind sehr plastisch beschrieben. Da ist natürlich die Erzählerin Mini, die ihre Gefühle, Gedanken und Sicht auf die Welt teilt. Aber auch alle anderen, die die Erzählung betreten, werden so beschrieben, dass ich mir vorstelle, Du hättest mit Deinen Protagonist*innen zusammen gewohnt, während Du das Buch geschrieben hast. Wie sehen Deine Schreibprozesse aus? Was brauchst Du, um zu schreiben?
Ich freue mich sehr zu hören, dass die Figuren auf Dich realistisch wirken. Die Glaubwürdigkeit ist für mich das Wichtigste an einer Geschichte: dass man das Gefühl hat, dass die Figuren wirklich existieren. Für mich sind sie auch in einer bestimmten Weise real.
Ich brauche beim Schreiben vor allem Ruhe und muss den Kopf von anderen Gedanken frei bekommen. Da ich intuitiv schreibe, kann ich mir nicht oft nicht aussuchen, ob eine begonnene Geschichte läuft oder nicht. Manchmal weiß ich am Anfang ungefähr, wohin es ungefähr gehen soll, manchmal auch nicht. Ich brauche meist einen Urknall-Satz, aus dem dann die ganze Geschichte fließt. Beim weiteren Schreiben muss ich auch immer auf die Ebene der Geschichten zurückfinden. Es ist eine andere Ebene als die der Vernunft.
Bei „Im Jahr des Affen“ war bereits klar, dass die Figur einen chinesischen Migrationshintergrund haben wird, da die Anregung von meinem ehemaligen Agenten kam, eine Geschichte aus der Sicht einer Migrantin zu schreiben. Lange Zeit hatte ich mich gesträubt, mich diesem Thema zu widmen, weil ich das Gefühl hatte, dass man es sich leicht gemacht hat und mich darauf reduzieren wollte. Was bei der Geschichte auch von Anfang an klar war: dass ein China-Restaurant als Ort vorkommt. Ansonsten war alles unklar. Letztendlich brauche ich immer den Funken, der entweder kommt oder nicht.
Die Literaturlandschaft, das Verlagswesen und die Preise bzw. Stiftungen in Deutschland entdecken diverse Perspektiven ja erst in den letzten Jahren als mehrheitsgesellschaftlich relevant an. Es ist noch ein weiter Weg bis zu einem diversen, gleichberechtigten Kulturbetrieb und so sind die Positionen der Entscheidungsträger*innen zumeist weiß-deutsch besetzt. Im deutsch-asiatischen Brave Space* kam zuletzt die Frage auf, inwiefern die Teilnahme und Teilhabe an Wettbewerben für Autor*innen und Künstler*innen der BIPoC Community automatisch mit weiteren Diskriminierungserfahrungen verbunden sind. Als Mensch aus der BIPoC Community ist die oder der einzelne* immer Teil einer politischen Kategorie. Wie sind Deine Erfahrungen im Literaturbetrieb? Wie hast Du Lesungen und Buchbesprechungen erlebt?
Der erste große Preis, den ich erhalten habe, den Chamisso-Förderpreis der Bosch-Stiftung war für Autoren nichtdeutscher Muttersprache ausgeschrieben und hatte sonst keine inhaltlichen Vorgaben. Allerdings hatte ich gedacht, dass auch thematisch etwas mit dem kulturellen Hintergrund gefordert war. Bei „Totalschaden“ ging es jedoch um einen deutschen jungen Mann namens Patrick Müller. Es hatte mich überrascht und natürlich gefreut, dass mir zugestanden wurde, auch über andere Themen zu schreiben, und es den Juroren wirklich nur um die literarische Qualität ging.
Auch wenn man Romane schreibt und keine Sachbücher, müssen für den Leser (das habe ich früher naiverweise nicht gewusst) Autor und Geschichte offensichtlich stark verbunden sein.
Ich habe auch um zwei Ecken gehört, dass ein Verlag meinen ersten Roman abgelehnt hatte, weil die Geschichte nicht zu meinem „kulturellen Hintergrund“ passen würde. Das zeigte mir, dass es nicht ausreicht, wenn eine Geschichte interessant geschrieben ist, weil sie leider nicht unabhängig von dem Autor gesehen wird.Die Buchbesprechungen sagen manchmal mehr über die Rezensenten aus als über den Roman. Manche schreiben einfach von anderen ab und manche lesen alles sehr genau und man merkt ihnen an, dass sie sich sehr mit der Geschichte befasst hatten. Ich freue mich besonders, wenn Rezensenten mir neue Sichtweisen auf die Romane eröffnen. Dadurch leben Romane: Jeder erkennt andere Dinge und entdeckt etwas, was andere noch nicht darin entdeckt haben.
Bei „Im Jahr des Affen“ war es zweischneidig. Weil ich offensichtliche biografische Parallelen mit der Geschichte hatte, war das Interesse groß, weil ja Autor und Geschichte zusammenpassen. Andererseits fand ich es schade, dass manchmal lediglich meine Biografie herausgestellt wurde und man meinte, damit wäre alles zu dem Roman gesagt. Mit den Hauptfiguren in meinen ersten beiden Romanen habe ich aber genauso viele Gemeinsamkeiten – sie waren nur nicht so offensichtlich, weil diese Gemeinsamkeiten nicht in meiner Kurzbiografie standen. Der Anteil an Gemeinsamkeiten ist ungefähr gleich, nur setzt man mich nicht mit jungen deutschen Männern gleich. Das hat sowohl Vor- als auch Nachteile. Der Vorteil für mich war, dass ich freier schreiben konnte, weil ich wusste, dass man mich nicht mit ihnen gleichsetzen würde. Beim Schreiben von „Im Jahr des Affen“ dachte ich ständig, dass später alle denken, dass ich das sei und dieses und jenes getan haben.
Die Protagonisten Deiner ersten beiden Romane sind junge Männer und haben keinen chinesischen Hintergrund. Gibt es gläserne Decken auch für literarische Figuren?
Nein, ich denke nicht, dass es da Grenzen gibt. Wenn eine Geschichte interessant ist, ist alles möglich. Wenn man es gut hinbekommt, kann wahrscheinlich auch ein Baum die Hauptfigur sein. Ich habe mir in den zwei Romanen das Geschlecht und den Hintergrund nicht bewusst ausgesucht, sie sind mit dem ersten Satz so gekommen. Auch bei „Im Jahr des Affen“ war das Geschlecht nicht gesetzt, sondern nur, dass die Hauptfigur einen chinesischen Hintergrund haben soll, weil das der Ausgangsgedanke gewesen war.
Ich habe in meiner Lesebiografie gelernt, mich mit weißen und auch männlichen Protagonist*innen zu identifizieren. Das liegt natürlich an einem Mangel von repräsentativen Charakteren in der mir verfügbaren Literatur und auch daran, dass der gesellschaftliche Blick auf die Welt durch die als Norm angenommene männlich-weiß-cisheterosexuellen Sichtweise prägt ist. Im Positiven bedeutet das für mich, dass ich möglicherweise empathischer geschult bin und den Blickwinkel wechseln kann. Im Negativen heißt das, dass ich permanent in Transferleistung gehe, die mein männlich-weißes-cis-heterosexuelles Gegenüber erstmal nicht erbringen muss. Ich hab für diesen Vorgang superlange keine Worte und keine Sprache und nichts außer einem Unbehagen gehabt. Wie geht es Dir dabei?
Es kommt immer darauf an, welche gemeinsamen Schnittmengen man hat. Mich hat es zum Beispiel gewundert, dass ich, als ich eine Autobiografie eines Autors gelesen hatte, mich sehr darin wiederfand, obwohl ich ganz anders aufgewachsen war. „Transferleistung“ hört sich nach Arbeit und anstrengend an. Ich denke aber, dass das Mitfühlen automatisch passiert und nicht „erbracht“ werden muss. In uns stecken sowohl weibliche als auch männliche Anteile. Zumal finde ich hinsichtlich der Geschlechterdiskussion, dass einerseits alles gleich sein soll und andererseits oft immer sehr klare Grenzen gezogen werden. Das ist inkonsequent und widersprüchlich.
Deswegen ist eine Figur wie Mini so wichtig für uns Leser*innen, da sie ja mit der Palette der klassischen Teenagergefühle total „relatable“ ist und gleichzeitig ihre ganz eigene Geschichte mitbringt. Welche Bücher haben Dich geprägt? Und welche Bücher liest Du im Augenblick?
Ich kann leider nicht alle Bücher nennen, da sehr viele mich beeinflusst haben. Was mir gerade einfällt ist, „Marching Powder“, obwohl das Buch sicherlich gar nicht so viel Einfluss auf mich hatte, aber es hat mich beeindruckt. In den letzten Jahren habe ich mehr Sachbücher als Romane gelesen und darunter sehr viele Autobiografien. Um einige wenige hervorzuheben: „Schloss aus Glas“, „Der große Trip“, „Das Scheißleben meines Vaters, das Scheißleben meiner Mutter und meine eigene Scheißjugend“.**
In den Büchern von Amy Tan habe ich viele Parallelen gefunden (was das Halb-Chinesische betrifft). Zuerst konnte ich die Romane nicht lesen, eben weil es zu viele – auch schmerzhafte - Parallelen gab. Beim Lesen ist das ja immer so eine Sache zwischen Sich-darin-wiederfinden und Gerne-in-eine-ganz-andere-Welt-als-die-eigene-abtauchen-wollen.
Bücher über den Vietnamkrieg haben meine Erkenntnis erweitert über Ideologien, Gruppenzwang, Bequemlichkeit, Geschichtsklitterung, politischer Korrektheit. Daher hat mich das Schreiben von „Im Jahr des Affen“ geprägt, weil das der erste Anstoß gewesen war, mich mit dem Thema endlich zu beschäftigen. Richtig eingearbeitet habe ich mich dazu aber erst nach dem Schreiben des Romans.
Ich lese gerade „Knockout. Das Leben ist ein Kampf. Die 20 besten Geschichten vom Boxen.“, „The New York Pigeon: Behind the Feathers“ (hier ist es mehr ein Schauen als ein Lesen) und „Unsere unbekannten Nachbarn. Das wundersame Leben der Tiere in der Stadt“.
Deine bisher veröffentlichten Bücher erzählen aus der Lebensperspektive heranwachsender Menschen. Neben der Identitätssuche sind Emanzipationsprozesse wichtige Themen Deines Schreibens. Die Frage danach, wer wir sind oder wer wir sein können, beschäftigt ja in unterschiedlichen Lebensphasen und je nach Möglichkeit und Kapazität immer wieder. Die Zeiträume, die uns als Menschen zur persönlichen Entwicklung zugestanden werden, sind knapp bemessen. Umso wichtiger ist diese Zeit. Und gleichzeitig nehme ich das Genre des Jugendbuchs als vernachlässigte Form wahr, in der Autor*innen mit der heranwachsenden Generation kommunizieren können. Ich habe das Gefühl, dass wir als erwachsen gelabelte oder diejenigen, die jetzt zur Elterngeneration gehören, viel mehr Aufmerksamkeit der Perspektive jüngerer schenken sollten. Wie könnte ein gemeinsames Wachsen aussehen?
Leider werden Jugendbücher von Erwachsenen nicht wirklich als potentielle Leselektüre für sich wahrgenommen, weil bei Jugendbüchern ein Lesealter dabei steht. Bei jungen Menschen ist das Leben noch frisch und man hat das Leben vor sich. Daher mag ich es, aus dieser Perspektive zu schreiben. Besonders mag ich es, dass man in jungen Jahren einfach vieles ausprobiert, anstatt erst lange zu überlegen. Nur durch ein Austesten und Machen kann man wirklich sehen, wie es ist.
Andererseits ist man als junger Mensch noch sehr geprägt von seiner Umgebung. Man hat feste Überzeugungen übernommen (weil man wenig Vergleiche hatte), wie die Welt aufgeteilt ist, wie sie funktioniert, was gut und böse ist, was richtig und falsch. Erst nach vielen Erfahrungen kann man sich ein eigenes Bild von der Welt machen. Darum erlebe ich es auch so, dass Ältere mehr Verständnis für die Schwächen anderer haben, weil sie mehr Erfahrungen haben im Gegensatz zu Jugendlichen, denen oft ein vereinfachtes Bild vermittelt wird.
Mini, Deine Protagonistin, wird von ihrem Onkel als Banane bezeichnet. Meine Kollegin Zhu stellt sich die Frage, ob sie außen Ingwer, aber innen doch mehr Kartoffel ist. Ich musste sofort an Fran Ross‘ „Oreo“ denken und auch in Mithu M. Sanyals Buch „Identitti“ wird die mixed race Protagonistin als Kokosnuss, außen braun und innen weiß, betitelt. Das Gefühl durch das Aussehen definiert zu sein und durch das Innenleben beschränkt zu werden, oder auch die umgekehrte Form, also durch das Aussehen abgestempelt zu werden und dass die Eigenwahrnehmung damit nicht vereinbar ist, ist mir auch bekannt. Von außen auf Identitätsfindungsprozesse gestoßen zu werden und das immer wieder auf die eigene Lebensrealität zu übersetzen, ist eine Herausforderung für alle, die von der Dominanzgesellschaft als „fremd“ gelesen werden.
Fühlst Du Dich als Banane? Wird die Lebensrealität von global citizens, die verschiedene kulturelle Hintergründe haben, durch solche Zuschreibungen nicht begrenzt, da sie Identitäten in binäre Kategorien eingrenzt und die persönlichen Erfahrungen, die zur Identitätsbildung beitragen, herunterspielt?
Der Begriff Banane wird im Roman als Schimpfwort gebraucht und dient nicht der normalen Zuschreibung. Im Klappentext ist das Wort zwar ebenfalls zu finden, aber es ist im Grunde ein Zitat aus dem Roman. Es wäre für viele Menschen natürlich einfacher, wenn sie nicht durch ihr Aussehen definiert werden. Tatsache ist jedoch, dass man nun mal immer anhand des Aussehens eingestuft wird, auch wenn anders schöner wäre. Das eine sind Wünsche, das andere ist Realität. Aber mir ist auch klar, dass man sich nie von äußeren Eindrücken frei machen kann. Anderen ergeht es aber – in anderen Abstufungen – so ähnlich, dass sie sich innerlich anders fühlen als sie außen wahrgenommen werden.
Ich selbst kannte das Wort „Banane“ gar nicht, bis es eine chinesische Freundin einmal erwähnt hatte. Ich fand den Begriff interessant. Vielleicht muss es auch kein Schimpfwort sein. Ich empfinde mich jedenfalls auch objektiv so: Ich sehe anders aus, als ich bin. Die Frage ist, wie ich damit umgehe und mich nicht mehr von den Zuschreibungen anderer aufgrund meines Aussehens beeinflussen lasse. Wenn ich nicht asiatisch aussehen würde, würde wahrscheinlich niemand darauf kommen, dass ich keine „normale“ Deutsche bin. Ich kann aber anderen nicht auferlegen, wie sie mich sehen sollen.
Zur Identitätsbildung: Ich höre oft von migrantischen Jugendlichen, dass sie nicht wissen, wer sie sind. Zum Beispiel: Sind sie Deutscher oder Türke? Hier in Deutschland werden sie als Türke gesehen, in der Türkei werden sie als Deutscher gesehen. Und dann fühlen sie sich hin- und hergerissen. Zwischen zwei Polen hin- und hergerissen zu werden ist wirklich ein Problem – wenn es diese zwei Pole überhaupt gibt. Ich denke, dieses Sich-für-eine-Seite-entscheiden-müssen ist eine Sache, die man einfach unüberlegt übernimmt.
Man muss nicht zu einer Entscheidung kommen, ob man Deutscher ist oder Türke oder Chinesin. Vereinfacht gesagt kann ich Goethe mögen und gleichzeitig Räucherstäbchen anzünden. Es machen viele andere Eigenschaften meine Identität aus: Ich habe zum Beispiel für mich akzeptiert, dass ich ein Nachtmensch bin und das war wichtiger für meine Identität als mich chinesisch oder deutsch zu fühlen.
Es geht sicherlich darum, dass sich jeder wünscht, vollkommen zu einer Gruppe hinzuzugehören und sich deutsch, chinesisch, italienisch oder griechisch zu fühlen, ist der einfachste Weg dazu. Einer Gruppe zugehören, gibt Sicherheit. Möglich ist es aber auch, zu Gruppen zugehören, mit denen man andere Schnittmengen hat.
Wie sieht Minis Leben nach diesem Sommer, der im Buch beschrieben wird, aus?
Das frage ich mich auch oft.
Ich fände es sehr spannend, dieser Figur beim Lesen wieder zu begegnen, natürlich auch unter dem Aspekt, wie sich deutsch-asiatisches Leben in der Literatur erzählt und in Bezug auf meine Frage nach der Repräsentanz von deutsch-asiatischen Biografien in der Literatur.
So wie Dein Buch jetzt auf mich nachwirkt, stelle ich mir vor, wie eine Adaption des Romans auf der Bühne oder als Film aussehen könnte. Vielleicht auch als Serie. Mir ist durchaus bewusst, dass die deutsche Film und Fernsehlandschaft nicht wirklich offen für Formate aller Art ist, aber in der „was wäre wenn“ Frage könnten wir das vernachlässigen, deshalb: kannst Du Dir vorstellen, Deine Figuren für Film oder Fernsehen zu schreiben?
Das kann ich mir sehr gut vorstellen. Bei der Szene, in der Mini und Bela nachts zum Ufer der Aa gehen erklang automatisch bei mir der Westernhagen-Song „Lass uns leben“.
Das Fehlen von Gemeinschaft, von „gleichen“ Freund*innen ist ein großes Thema der Vaterfigur in Deiner Erzählung. Vater und Tochter trennen auch die unterschiedlichen Perspektiven, die die beiden in der deutschen Gesellschaft haben. Wie sieht das Altern/ Altwerden von Chinesisch-Deutschen der ersten Generation in Deutschland aus?
In Deinem Buch beschreibst Du auch die kommunikativen Grenzen zwischen Kindern und ihrer Elterngeneration. Das hat mit sprachlichen Barrieren zu tun, ist aber auch generations- und kulturell bedingt. Es gibt mittlerweile ziemlich coole Projekte wie das Kartenspiel von parents are human, die eine empathische Kommunikation zwischen Kindern und Eltern initiieren wollen.
Ich glaube, erwachsene Kinder können sich besser in die Eltern hineinzudenken als umgekehrt, weil die Elterngeneration viel arbeiten musste, um sich eine neue Existenz aufzubauen und mit den Schwierigkeiten zu kämpfen hatten, in einem fremden Land mit einer anderen Sprache, einer anderen Kultur zurechtzukommen und oft dabei keine Unterstützung von Verwandten und Freunden haben. Die Generation, die im Gegensatz zu den Eltern hier – ohne diese Probleme (dafür mit anderen) – aufgewachsen ist, hat mehr Zeit über das Ganze zu reflektieren. Sprachliche Barrieren, da hast Du Recht, kommen da noch hinzu. Problematisch finde ich, dass Chinesen jüngere Menschen oft nicht so ernst nehmen. Die Älteren wissen alles besser und entscheiden alles für sie.
Wie können wir als zweite oder dritte Generation unsere Eltern im Altwerden begleiten, wenn sie in dieser Gesellschaft geduldet, aber nicht aufgenommen wurden? Und gibt es eine Möglichkeit die eigenen Bedürfnisse gegenüber der Elterngeneration zu formulieren, ohne Verletzung oder Zurückweisung zu verursachen?
Das sind gute und wichtige Fragen, auf die ich leider keine Antworten habe.
Anfang Januar haben wir im Brave Space* über dieses Thema gesprochen und festgestellt, dass es, was den Umgang mit Eltern bzw. Familie angeht, großen Austauschbedarf innerhalb der Community gibt. Ich fand den Gedanken von Quyên dazu sehr anregend. Sie beschrieb, dass sie ihr Aufarbeiten und ihre Selfcare-Arbeit als Teil einer trans-generationalen Teamarbeit versteht. Sie leistet die emotionale Aufarbeitung als Heilung der Familie und ihre Eltern haben durch den Aufwand, ein Leben in Deutschland aufzubauen, und die Erarbeitung und Bereitstellung der Mittel ihren Teil dazu beigetragen. Ich finde diesen Gedanken wunderschön. Und ich fände es wichtig, eine Kultur der gemeinsamen Wertschätzung zwischen Eltern und Kindern zu etablieren, denn das habe ich vermisst. Sich nicht über das Defizitäre zu definieren, sondern das, was man gemeinsam hat. In meinem Fall ist leider auch vieles, was ich mir bezüglich der Kommunikation mit meiner Elterngeneration wünsche, aufgrund des gesundheitlichen Zustandes meiner Eltern nicht mehr umsetzbar und ich versuche das mit mir selbst zu klären. Kanäle wie beispielsweise @asiansformentalhealth auf Instagram sind für mich dabei sehr hilfreich.
Ich habe relativ wenig Ahnung von Chines*innen in Vietnam bzw. von Auslandschines*innen im Allgemeinen. Meine Mutter hat sich selbst immer so bezeichnet und ich habe ganz lange gedacht, das wäre ein Begriff, den sie für sich selbst gefunden oder erfunden hätte. Du hast in einem Interview erwähnt, dass Du Dich auf eine Spurensuche begeben musst, um die Wege, die ihre Familie zurückgelegt hat, nachvollziehen zu können. Aus meiner eigenen Erfahrung wird die Frage nach der Identität mit dieser Spurensuche nicht unbedingt geklärt, denn das Leben findet ja trotzdem hier statt.
Wie funktioniert chinesische Identität in Deutschland für Dich?
Ich musste mich selbst informieren, da mir die Vergangenheit nicht ganz klar war. Ich wusste nicht, dass Chinesen seit Generationen in anderen Ländern, nicht nur in Vietnam, sondern auch in Thailand, Indonesien etc. lebten in eigenen kleinen Gesellschaften. Chinesen bleiben oft sehr für sich, bewahren sich in ihrer Community ihre Sprache und Kultur.
Bei uns im Ort gab es nicht viele anderen Chinesen. Das hat aber auch Vorteile gehabt, was die Assimilation betraf, jedenfalls für uns Kinder. Für meine Eltern war das sicherlich nicht schön. Das ist vielleicht ein großer Punkt in der chinesischen Identität: Familiärer Zusammenhalt und Unterstützung. Chinesen leben gerne gesellig in Großfamilien. Was ich oft bei deutschen Familien wahrnehme ist, dass es viel Streit ums Geld geht: Irgendein Bruder wurde mehr finanziell unterstützt oder die Eltern geben zu viel Geld aus und das geht ja vom Erbe weg. Solchen finanziellen Neid gibt es bei Chinesen sicherlich seltener.
Wie wurde die Verbindung zur chinesischen Kultur in Deiner Familie praktiziert? Wie wurde bei Dir in der Familie das Chinesisch-Sein, mal abgesehen von Sprache und Essen, kommuniziert? Gibt es chinesische Traditionen, die Du in Deinen Lebensalltag übernommen hast? Feierst Du beispielsweise das Chinesische Neujahrsfest?
Da meine Eltern fast nie da waren, gab es kaum Traditionen. Zum Neujahr gab es Geld in roten Umschlägen. Ansonsten gab es eine Art Altar für die verstorbenen Eltern meines Vaters, was auch typisch chinesisch ist, dass man die Fotos der verstorbenen Eltern aufstellt und Opfergaben wie Mandarinen usw. davor und Räucherstäbchen. Was ich auch als chinesisch empfinde ist der Leistungsdruck, der auf den Kindern lastet, dass Kinder danach bemessen werden, wie beruflich erfolgreich sie werden. Wenn Kinder einen Doktortitel haben oder viel Geld verdienen, wird das gerne herausgestellt. Es ist nicht verpönt, darüber zu sprechen, wieviel Geld man verdient. Ansonsten fällt mir noch ein, dass man vor alten Menschen Respekt zeigt und mehr Rücksicht nimmt. In Asien stehen gleich mehrere Leute auf, wenn ein alter Mensch in den Bus kommt. Hier erlebe ich es leider anders. Der Nachteil ist, dass Kinder und junge Menschen oft nicht ernst genommen werden und [man] meint, dass sie kein Mitspracherecht haben, auch was sie selbst betrifft.
Ich habe den Eindruck, dass Chinesen sich weniger für andere Kulturen interessieren. Jedenfalls wirkt es oft so, dass zum Beispiel deutsche oder amerikanische Touristen sich für die Kultur und die Geschichte des Landes interessieren, während Chinesen es wichtiger ist, gut zu essen und shoppen zu gehen. Für die meisten Chinesen scheint es das Wichtigste zu sein, eine große Familie zu haben, wohlhabend zu sein und gut zu essen. Sie suchen meist nicht nach einem höheren Sinn des Lebens so wie viele Deutsche es tun, die eigentlich alles haben.
Typisch chinesisch finde ich es auch, nicht perfektionistisch zu sein. Man ist zwar fleißig und macht das, was notwendig ist, aber es muss halt nicht alles hundertprozentig sitzen. Ich habe bei Chinesen (zum Beispiel bei Verwandtenbesuchen) noch nie eine derart ordentliche Wohnung gesehen wie bei Deutschen. Wenn Chinesen eine Gardine kürzen, kann das unten schief und krumm sein, Hauptsache sie ist gekürzt, während Deutsche sich viel Zeit nehmen, alles perfekt gerade zu machen. Wände müssen nicht perfekt gestrichen sein, wenn irgendwelche Stellen schattig sind – egal.
Im Kontext von ZhongDe bin ich das älteste Mitglied, die meisten von uns sind Anfang-Mitte 20, das gleiche gilt für den deutsch- asiatischen Brave Space*. Und ich bewundere diese Generation total, da sie nach Verbundenheit sucht und gemeinsam füreinander einsteht. Mit Anfang Mitte 20 war mir mein Anteil am Chinesisch-Sein für mich überhaupt nicht greifbar, ich wollte einfach nur als Individuum wahrgenommen werden und Teil der deutschen Gesellschaft sein. Der Begriff einer deutsch-asiatischen Gemeinschaft ist für mich relativ neu, da ich lange keine Menschen gekannt und/oder gesucht habe und immer mehr Unterschiede gesehen habe als Gemeinsamkeiten. Gleichzeitig habe ich mich oft nicht Chinesisch genug gefühlt. Dass dieses Gefühl an vielen Punkten ein gemeinsamer Nenner sein könnte, konnte ich mir nicht vorstellen. Der gemeinsame Austausch, an dem ich jetzt teilnehmen darf, ist sehr bereichernd. Was für Möglichkeiten eines gegenseitigen Empowerments aus der deutsch-chinesischen bzw. deutsch-asiatischen Community würdest Du Dir wünschen?
Mir geht es ähnlich. Ich habe aus ähnlichen Gründen lange Zeit das Chinesische in mir geleugnet. Es war früher als ich hier aufgewachsen war, auch eine andere Zeit als heute.
Weil das Deutsch-Chinesische einen doch – wenn auch unbewusst oder allein dadurch, dass man durch sein Aussehen immer wieder daran erinnert wird – sehr prägt, man damit aber oft allein da steht mit diesem Gefühl, ist es sicherlich tröstlich, wenn andere genau nachfühlen können, wovon man spricht.
In einem Songtext heißt es sinngemäß: Ich weiß, wie du dich fühlst, ich war am selben Ort. Ich denke, das ist ein guter Vergleich, um plastischer auszudrücken, dass man, was der andere fühlt, gut nachfühlen kann: dass man den Ort kennt.
Es ist tröstend, wenn andere das nachempfinden können, was man selbst empfindet, weil man sonst im anderen Umfeld nie verstanden wird.
Vielen Dank für Deine Zeit und Deine Offenheit. Dass ich Dein Buch entdeckt habe, gehört für mich zu den ganz besonderen Momenten meines Lesejahres 2021. Ich freue mich riesig darauf, zwischen den Jahren bzw. im kommenden Jahr Deine anderen beide Romane lesen zu können und hoffe, dass Du noch viele Bücher schreibst. Es ist gut zu wissen, dass es Dich gibt.
Ich danke Dir, für Deine sehr netten Wünsche, Dein Interesse und für die interessanten und ungewöhnlichen Fragen. Dir und Deinen Freunden/Kolleginnen/Mitstreiterinnen/Gleichgesinnten von ZhongDe wünsche ich weiterhin einen verständnisvollen und erfüllenden Austausch, und dass Ihr auch noch stärker in die Öffentlichkeit rückt.
* Der deutsch-asiatische Brave Space ist eine Vernetzungsplattform über die es Menschen mit deutsch-asiatischen Wurzeln Erfahrungen teilen, sich über verschiedene Themen austauschen und gegenseitig empowern. Wir treffen uns einmal im Monat offiziell via Zoom. Je nach Bedarf finden auch informelle digitale und auch analoge Treffen statt.
** “Marching Powder” von Rusty Young, „Schloss aus Glas“ von Jeanette Walls, „Der große Trip“ von Cheryl Strayned und „Das Scheißleben meines Vaters, das Scheißleben meiner Mutter und meine eigene Scheißjugend“ von Andreas Altmann