Buchrezension: Im Garten von Oma Apo

Autorin: Maike Siu-Wuan Storf

Illustration von Tang Wei

In meiner bisherigen Arbeitsbiographie habe ich keinen professionellen Zugang zur Kinder- und Jugendliteratur. Ich bin keine studierte Pädagogin oder Buchhändlerin. Dennoch habe ich von jeher ein sehr inniges Verhältnis zu Kinder- und Bilderbüchern und sie begleiten mich in allen Lebensphasen von meiner Kindheit bis in mein Erwachsenenleben. Ich habe nie aufgehört, Kinderbücher zu lesen. Bereits bevor ich selbst Mutter wurde, habe ich immer viel Zeit in den Kinder- und Jugendbuchabteilungen von Buchläden verbracht und Neuerscheinungen und -entwicklungen mitverfolgt. Bücher sind ein Portal zu anderen Welten oder Lebensrealitäten. Bilderbücher sind Weggefährten in Richtung Phantasie.

„Im Garten von Oma Apo“ von Tang Wei ist mir in der Stadtbibliothek in die Hände gefallen und ich habe es sofort zu den auszuleihenden Büchern gelegt. Unsere Bibliothek ist grundsätzlich gut aufgestellt, trotzdem sind Kinderbücher von chinesischen Autor*innen nicht in großer Auswahl vorhanden. Mit dem Lesen und den Bildern, die die Geschichte illustrieren, war für mich relativ schnell klar, dass ich dieses Buch als festen Bestandteil unserer Kinderbuchauswahl zu Hause haben möchte.

Die Erzählung beginnt mit dem Satz: „Da wo ich herkomme, wohnt eine Oma mitten in der großen Stadt im obersten Stock eines Hauses.“ Ich mag diese Einführung, irgendwie finde ich es schön, mit einem Satz über die Herkunft zu starten. Es hat für mich, die immer wieder mit der Frage nach der Herkunft konfrontiert ist, etwas selbstermächtigendes direkt aus dieser Perspektive zu starten. Dann wird Oma Apo beschrieben und zwar als eine Person, die sich in ihrer Erscheinung und ihrem Handeln nicht an ihr Umfeld, das von Schnelllebigkeit geprägt ist, anpasst. Oma Apo ist nicht zeitgemäß gekleidet und sie besucht den Markt nicht zum Einkauf, sondern um weggeworfenes Gemüse einzusammeln. Auf dem Dach ihres Hauses pflegt sie einen Garten, mit Hühnern, Enten und Nutzpflanzen, an die sie das welke Gemüse verfüttert und dessen Reste sie für die Pflanzen kompostiert. Oma Apo hat ein besonderes Verhältnis zu ihren Pflanzen, um die sie sich kümmert. Sie sprechen zu ihr und sie versteht sie. Buntstiftstriche gestalten die Welt von Oma Apo. Sie zeichnen ihre Arbeit, ihre Ernte und auch die Freude, die diese Beschäftigung bringt. Weil die Erträge aus ihrem Garten so üppig sind, verschenkt sie ihr liebevoll gezogenes Gemüse an die Nachbarn und vergisst niemanden. Sie lädt ihre ganze Familie, ihre erwachsenen Kinder mit den Enkelkindern, zu einem großen Essen ein und alle genießen ein opulentes Festmahl. Die letzten Reste der Ernte werden eingelegt und als Vorräte eingelagert.

Die Illustratorin und Autorin Tang Wei ist 1986 in Chengdu geboren und lebt heute in Dali (Provinz Yunnan). Sie hat ihr erstes Bilderbuch ihrer Großmutter gewidmet, die das lebende Vorbild für Oma Apo ist.

„Im Garten von Oma Apo“ ist für mich auf mehreren Ebenen ein inspirierendes Buch. Es verbindet die Beschreibung von realem Leben mit phantastischen Elementen und ist liebevoll illustriert. Das Buch schafft es ohne romantisierenden Kitsch den Alltag von Oma Apo darzustellen. Ich freue mich natürlich über die Repräsentanz einer asiatisch gelesenen, älteren und weiblichen Person als Hauptfigur eines (Kinder-)Buchs. Für mich als Erwachsene, die das Älterwerden der Frauen in meinem familiären Umfeld als problembeladen wahrnimmt, ist Oma Apo ein tolles Vorbild und eine Vision, wie ich selbst gerne in hohem Alter wäre.

Ich muss auch zugeben, ich bin ein bisschen neidisch, denn ich hätte auch gerne eine Oma Apo für mich oder für mein Kind gehabt. Umso mehr freue ich mich, dass ich am Ende des Buches im Nachwort erfahren darf, dass es sie wirklich gibt.
Neben der Thematik, wie ältere Menschen in unserer Gesellschaft leben und wie ein Zusammenleben aussehen kann, können wir Assoziationen zu aktuell relevanten Themen wie Care Arbeit, Urban Gardening, Containern, Zero-Waste, Nachhaltigkeit und gesunder Ernährung herstellen.

Ich musste auch ein bisschen an das Buch „Die schnellste Bohne der Stadt“ von Christina Björk und Lena Anderson denken. Das ist eines der Bücher, die mich seit meiner Kindheit begleiten. Es hat insofern einen besonderen Stellenwert für mich, denn ich habe die Hauptfigur Linnea, ein Mädchen, das mitten in der Stadt ihre Wohnung bepflanzt, immer asiatisch gelesen und mich mit ihr identifiziert.

Mein vierjähriger Sohn war bisher weniger beeindruckt von Oma Apo. Ihn beschäftigen Geschichten, in denen Drachen vorkommen, im Moment mehr. Aber ich habe mir vorgenommen, mit ihm kommendes Frühjahr einen Garten auf unserem Balkon anzulegen. Wir werden Salat, Tomaten, Radieschen, Möhren, Bohnen und Zucchini aussähen. Und dann bekommt „Im Garten von Oma Apo“ eine neue Chance, denn dann überschneiden sich unsere Welten.

Vielen Dank an Baobab Books in Basel und Lorena Zehnder, die uns freundlicherweise, die Illustrationen zur Verfügung gestellt haben.


Tang, Wei
Im Garten von Oma Apo

Ein Bilderbuch aus China
Übertragung aus dem Chinesischen von Brigitte Koller Abdi
© 2020 Baobab Books
32 Seiten, gebunden, 23 x 23 cm
ISBN 978-3-905804-99-7
Ab 5 Jahren
Originalausgabe: »Apo de Kongzhong Cai Yuan«
© 2019 Tang Wei & Beijing Popular Culture Project Co., Ltd

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阿义 A Yi (wenzhounesisch: Opa)

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