Wenn das Leben dir etliche kulturelle Identitätskrisen gibt, dann mach MEHR draus!

Autorin: Jenny Du

Illustratorin: Maike Siu-Wan Storf

Diese Illustration hat eine kleine Hommage an Shaun Tans “Ein Neues Land” untergebracht

Schlägt man im Duden das Wort „Zugehörigkeit“ nach, kann eine Aneinanderreihung von Synonymen wie "Dazugehören“, „Verbundenheit“ oder auch „Mitgliedschaft“ vorgefunden werden. Ist es komisch, dass sich der Begriff "Dazugehören" für mich fremd anfühlt, ich eine "Verbundenheit" so nicht kenne und sich bei „Mitgliedschaft" Gedanken über Abonnements von Streaming-Diensten auftun?

Wahrscheinlich gar nicht so sehr, wenn ich an das Schicksal von allen immigrierten Familien und den nachfolgenden Generationen denke. Sich „fremd“ zu fühlen ist vermutlich kein seltenes Phänomen unter all den Menschen, die sich auf keine Heimat festlegen können, weil sie sich keinem Land zu 100% zugehörig fühlen. Die Logik des Ganzen liegt dann anschließend darin, Trost in Communites zu suchen, die ihnen wenigstens ein annähernd ähnliches Gefühl von Zugehörigkeit vermitteln.

Communities, damit ist ein Zusammenschluss von Menschen gemeint, die sich über eine oder mehrere Gemeinsamkeiten zueinander zugehörig fühlen. Aber was ist, wenn dann aber nicht klar wird, welcher Community man sich verbunden fühlt? Wenn man selbst nicht nur inmitten von zwei, aber drei oder vier Kulturen groß geworden ist? Das Erbe der eigenen Eltern, die sich selbst fremd in mehr als einem Land gefühlt haben, weiterträgt?

“Du bist aber groß geworden”, was ins Chinesische mit “你已经长大了!” oder ins Vietnamesische “Bạn đã trưởng thành!” übersetzt werden kann, sind Floskeln höflicher Aufeinandertreffen mit Menschen, die Tante oder Onkel genannt werden wollen. Jedes mal, wenn meine Eltern irgendwo stehen bleiben, um mit diesen besagten Personen zu sprechen, hoffe ich, dass ich nicht erneut mit meinen mangelnden Vietnamesisch-Kenntnissen in eine unangenehme Bredouille gebracht werde. “Entschuldige, ich spreche kein Vietnamesisch”, höre ich mich dann aber meistens doch antworten. Ein kleines bisschen wütender, aggressiver, betretener als beabsichtigt. Obwohl ich mir einige Sätze aus dem Kontext zusammenreimen kann, leugne ich meistens einfach, dass ich irgendetwas von dem verstehe, was ich gefragt wurde. Die Stimme in mir drin, die mich ständig daran erinnert, dass ich keinen Platz für eine weitere kulturelle Identitätskrise habe, wäre stolz auf mich.

“Ich spreche nur Chinesisch”, füge ich dann oftmals entschuldigend hinzu. Zumindest soll es so klingen, denn was sich tatsächlich in mir regt, ist die geballte Wut, endlich als Chinesin akzeptiert zu werden. Denn ich bin chinesisch. Oder?

In solchen Momenten holt mich dann die Realität amtlicher Dokumente stets wieder ein, denn mein vietnamesischer Zweitname macht es für mich unmöglich zu vergessen “Wieso kann deine Tochter kein Vietnamesisch? Sie hat doch einen vietnamesischen Namen, oder?”, höre ich die Verwandten und Bekannten meine Eltern auf Vietnamesisch fragen. Denn hierfür reicht mein Vietnamesisch dann doch aus, um es verstehen zu können. Gute Frage, denke ich mir dann immer. Darauf weiß ich bis heute keine vernünftige Antwort, denn meine Eltern begründen meine Nachfragen stets damit, dass sie den Namen einfach schön fanden und ich ja einen chinesischen Rufnamen hätte. Dass sie damit eine Identitätskrise in mir auslösten, hatten sie damals wohl nicht einmal ansatzweise erahnen können.

“Wenn du kein Vietnamesisch sprichst, wie gut ist dann dein Mandarin?” ist wiederum die andere Frage, die stets in mir ein beklemmendes Gefühl auslöst. Meine Hände werden dann immer ganz schwitzig, meine Atmung unmerklich hektischer.

Denn mein Mandarin ist quasi nicht existent. Und ich gerate in eine peinliche Erklärungsnot.

“Also, eigentlich spreche ich kein Mandarin. Ich spreche einen anderen Dialekt, der nennt sich 潮州話 (Teochew), kennt man eigentlich auch nicht, der klingt ganz anders als Mandarin, …” Und ich erkenne, wie es bei der mir gegenüberstehenden Person rattert und sich Verwirrung auftut. “Ist auch egal, jedenfalls ist es kein Mandarin”, beende ich dann meistens meinen kläglichen Versuch, den gegenüberstehenden Personen meine chinesische Identität zu erklären.

“Aber bist du dann eine richtige Chinesin, wenn du nicht einmal Mandarin sprechen kannst?”, folgt dann die nächste Frage.

Ich erhoffte mir eine Antwort zu finden, als ich nach meinem Abitur beschloss, ein halbes Jahr in Peking zu verbringen, um Mandarin zu lernen. Ich wollte meine Zweifel, mich der chinesischen Kultur verbunden zu fühlen, am liebsten im Keim ersticken. Mich eindeutig einer Kultur zuordnen, die auf mein Aussehen schließen lässt. Und wurde im Gegenzug lediglich mit stärkeren Bedenken überschwemmt.

Denn in China war ich nicht nur die Deutsche, sondern auch die Vietnamesin. Mein Name war den Menschen dort nicht chinesisch genug, mein Mandarin zu schlecht, also wurde meine Unfähigkeit auf meine vietnamesische Herkunft geschoben. Meine Großeltern haben sich damals dazu entschieden, China zu verlassen. Haben in Vietnam ihre Kinder bekommen - meine Eltern - und diese sind dann nach Deutschland gezogen. Die Distanz zu China hat sich also bereits vor meiner Geburt aufgebaut, es gibt also nichts, was ich dagegen tun könnte.

Aber was bin ich dann? Eine Chinesin, die kein Mandarin spricht oder eine Vietnamesin, die kein Vietnamesisch spricht oder einfach ausschließlich deutsch, aber dafür bin ich einfach in manchen Aspekten doch zu chinesisch, oder?

Und da stehe ich, mit meinen 26 Jahren und habe immer noch keine Antwort auf all diese Fragen gefunden.

Im Endeffekt, denke ich mir, sind alle diese Fragen vielleicht nur eine Haarklauberei dessen, was gar nichts zur Sache tut, denn in Deutschland interessierte es niemanden, welcher Kultur ich mich mehr zugehörig fühle. “Verstehen sich Chinesen und Vietnamesen, wenn sich sich miteinander unterhalten?” oder “Gibt es Ähnlichkeiten in deren Landesküchen? Ich mag gerne Pfoooo, diese Nudelsuppe da, das ist doch chinesisch, oder?” sind Fragen, die ich des Öfteren von “interessierten” Mitmenschen zu hören bekomme. Manchmal, wenn ich keine Energie habe, um solche Aussagen zu verarbeiten, suche ich in mir drin nach Entschuldigungen. Sie wissen es nicht besser, denke ich mir immer.

Aber dann holen mich manchmal auch wieder ganz andere Situationen aus meinem Alltag ein, die meinen Puls zum Rasen bringen. Aussagen wie “Sie sprechen aber gut Deutsch, wo haben Sie das alles gelernt?” oder aber auch „Was wissen Sie denn schon, sprechen Sie überhaupt Deutsch?“ lassen mich dann meistens hinterfragen, in was für einer Welt wir eigentlich leben. In solchen Momenten möchte ich manchmal am liebsten auflachen und das verwirrte chinesisch-vietnamesisch-was-auch-immer Mädchen in mir umarmen. Ihr sagen, dass ich sein kann wer ich möchte, ganz egal, was auf meinem Pass steht. Ganz egal, welche Sprachen ich mehr und welche weniger beherrsche. Denn es gibt noch viel größere Probleme bezüglich Rassismus in einem Land wie Deutschland, in dem alles nur scheinbar gut läuft.

Nichtsdestotrotz ist es wichtig, sich darüber im Klaren zu sein, dass Rassismus und Ausgrenzung nicht nur zwischen zwei Hautfarben stattfinden kann, sondern auch zwischen Menschen, die aus der gleichen Ecke eines Kontinents oder sogar aus einem Land stammen. Aber solange es Menschen gibt, die Kulturen nicht voneinander unterscheiden können und nach wie vor nicht im 21. Jahrhundert angekommen sind und nicht verstehen, dass man nicht weiß sein muss, um die deutsche Sprache zu beherrschen, muss ich mich nicht auch noch zusätzlich damit belasten. Das hält doch kein Mensch aus.

Und mich für den Kampf wappnen, in dem es darum geht, irgendwann in einem Land leben zu können, das ich für mich als meine Heimat auserkoren habe - und das, ohne mich jemals für irgendetwas rechtfertigen zu müssen.

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